Erfahren Sie alles Wichtige rund um die Themen Herausforderungen im Herbst 2022 für die SBV und Ende der Amtszeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SBV,

seit dem 1. Oktober werden deutschlandweit wieder Schwerbehindertenvertretungen gewählt. Auf die neuen Vertrauenspersonen warten bereits spannende Herausforderungen, insbesondere gilt es, die Auswirkungen von Corona und Energieknappheit auf (schwer-) behinderte Arbeitnehmer abzuwehren oder jedenfalls zu minimieren. Lesen Sie hierzu mehr in unserem ersten Top-Thema.

Außerdem haben wir wieder drei aktuelle Entscheidungen der Arbeitsgerichte praxisnah für Sie aufbereitet. Unter anderem geht es hier um den Kostenfreistellungsanspruch der stellvertretenden Vertrauensperson, wenn diese außerhalb des Vertretungsfalls tätig wird.

Viel Spaß beim Lesen!

Herzliche Grüße
Ihre W.A.F.

Inhalt

Top-Themen der SBV

  • Insolvenzen, Kündigungen, Corona, kalte Räume – ein herausfordernder Herbst 2022 für die SBV
  • Das Ende der Amtszeit: Das ist nun zu tun

Rechtsprechungsmonitor

  • Rente bei Wegeunfähigkeit trotz Verzicht aufs Auto
  • Kein Kostenfreistellungsanspruch der stellvertretenden Vertrauensperson
  • Kein Recht auf Unterrichtung in bestimmter Art und Weise

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Top-Themen der SBV

Insolvenzen, Kündigungen, Corona, kalte Räume – ein herausfordernder Herbst 2022 für die SBV
Das wird ein „heißer“ Herbst in diesem Jahr für die Schwerbehindertenvertretung, auch wenn die Räume vielleicht kalt bleiben. Die Energieknappheit wird wohl zu weniger Arbeit, Insolvenzen und Kündigungen führen.
 
Das Ende der Amtszeit: Das ist nun zu tun
Immer dann, wenn die bisherige Vertrauensperson wiedergewählt wird, gibt es in Bezug auf die Kontinuität im Amt kein Problem. Anders sieht die Sache aber aus, wenn es eine neue SBV gibt. Was kann passieren, wenn die bisherige Vertrauensperson nicht wieder kandidiert oder schlicht und ergreifend nicht wiedergewählt wird?

Video-Empfehlung des Monats
SBV-Wahl: Teuflische Tipps #1

Kaum jemand – so scheint es – ist wirklich vorbereitet auf die SBV-Wahl 2022. Dabei war es nie leichter, eine SBV-Wahl durchzuführen – meint zumindest Rechtsanwalt und SBV-Experte Niklas Pastille. So können Wahlversammlungen neuerdings als Video- und Telefonkonferenz durchgeführt werden – eine kleine Revolution. Doch Vorsicht: Reine Online-Wahlen bleiben unzulässig. Auch wenn Sie glauben, in Sachen „SBV-Wahl“ bereits alles zu wissen: Informieren Sie sich in diesem Ratgebervideo über die neuesten Entwicklungen.

Zum Video  ➜

Rechtsprechungsmonitor
Rente bei Wegeunfähigkeit trotz Verzicht aufs Auto

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.10.2021, Az. L 4 R 1015/20

Leitsatz: Schafft eine wegeunfähige Versicherte ihren Pkw ab, hat sie Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Für die Wegeunfähigkeit kommt es allein auf die Beförderungsmöglichkeiten an, die dem Versicherten tatsächlich zur Verfügung stehen.

Der Fall: Ein Versicherter hat nach § 43 Abs. 2 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn er nicht mehr wegefähig ist. Dies setzt voraus, dass er nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500m innerhalb von 20 Minuten zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann.

Die wegeunfähige Klägerin begehrte vergeblich von dem beklagten Rentenversicherungsträger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie verfügte über eine Fahrerlaubnis und einen Pkw, den sie während des späteren Klageverfahrens abschaffte.

Die Entscheidung des Gerichts: Das Sozialgericht Köln gab der Klage statt, die Berufung des Rentenversicherungsträgers hatte vor dem LSG keinen Erfolg.

Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist nach Auffassung der Richter Teil des versicherten Risikos. Es habe sich infolge der gesundheitlichen (Geh-)Einschränkungen in dem Zeitpunkt verwirklicht, in dem die Klägerin diese nicht mehr durch den jederzeitigen, tatsächlichen Zugriff auf einen ihr zur Verfügung stehenden Pkw zumutbar habe beseitigen können.

Die Klägerin durfte ihr Auto auch abschaffen und hat hierdurch ihre Wegeunfähigkeit nicht absichtlich im Sinne von § 103 SGB VI herbeigeführt. Denn die Klägerin hatte ihre Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht vorsätzlich herbeigeführt. Ihre weitgehend eingeschränkte Gehfähigkeit hatte unverschuldet bestanden. Das Abschaffen ihres Pkw – aus welchen Gründen auch immer – sei unabhängig davon keine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles, weil sie auf diese Weise keine relevante gesundheitliche Einschränkung herbeigeführt habe.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie: Es kommt nicht darauf an, aus welchen Gründen sich eine wegeunfähige Person dazu entscheidet, ihren Wagen zu verkaufen. Wegeunfähige sind nicht verpflichtet, den Pkw zu behalten, um das versicherte Risiko nicht eintreten zu lassen.

DAUERBRENNER

SBV spezial: Rente und (Schwer-)Behinderung
Als SBV kompetent und praxisnah durch den Renten-Dschungel
Kein Kostenfreistellungsanspruch der stellvertretenden Vertrauensperson

ArbG Herne, Beschluss vom 19.07.2022, Az. 2 BV 7/22

Leitsatz: Die Schwerbehindertenvertretung besteht grundsätzlich nur aus der Vertrauensperson selbst. Daher sind bei Streitigkeiten zwischen der Vertrauensperson und ihrer Stellvertretung die Regelungen zur Kostentragungsverpflichtung des Arbeitgebers bei Streitigkeiten zwischen einem einzelnen Betriebsratsmitglied und dem Betriebsrat nicht einschlägig.

Der Fall: Zwischen der Vertrauensperson und ihrer Stellvertreterin bestanden Streitigkeiten über die Rechte der stellvertretenden Vertrauensperson für Schwerbehinderte. Eine betriebsinterne Klärung scheiterte. Die Stellvertreterin bevollmächtigte einen Rechtsanwalt und leitete ein Beschlussverfahren ein. Nachdem die Vertrauensperson zu Protokoll erklärte, dass es ihrer Stellvertreterin jederzeit gestattet sei, das Büro der Vertrauensperson der Schwerbehinderten aufzusuchen und Einsicht in die Unterlagen zu nehmen, nahm die Stellvertreterin den Antrag zurück.

Mit Rechnung vom 20.12.2021 bat der Rechtsanwalt, die stellvertretende Vertrauensperson von seinen Rechtsanwaltskosten freizustellen, die er in dieser Rechnung auf 1.683,85 € bezifferte. Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.01.2022 lehnte die Arbeitgeberin dies ab. Daraufhin leitete dieser nach Abtretung des entsprechenden Anspruchs ein weiteres Beschlussverfahren ein.

Die Entscheidung des Gerichts: Das Gericht wies den Zahlungsantrag ab. Zwar habe nach § 179 Abs. 8 S. 1 SGB IX die durch die Tätigkeit der SBV entstehenden Kosten der Arbeitgeber zu tragen. Es handele sich jedoch hier nicht um durch die Tätigkeit der SBV entstandene Kosten. Die Schwerbehindertenvertretung besteht nämlich nur aus der Vertrauensperson für Schwerbehinderte, vgl. § 178 Abs. 1 S. 4 SGB IX und § 179 Abs. 3 SGB IX. Es lag hier auch weder ein Fall vor, in dem die stellvertretende Vertrauensperson die Vertrauensperson hätte vertreten müssen noch in dem sie nach § 178 Abs. 1 S. 4 SGB IX herangezogen worden wäre. Daher sind auch die Regelungen zur Kostentragungsverpflichtung des Arbeitgebers bei Streitigkeiten zwischen einem einzelnen Betriebsratsmitglied und dem Betriebsrat (vgl. Fitting, Handkommentar Betriebsverfassungsgesetz, 31. Auflage, § 40 Rz. 60) nicht einschlägig.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie: Der Gesetzgeber hat das Problem der Kostenverursachung durch stellvertretende Mitglieder gesehen. Dies lässt sich dem auf § 179 Abs. 8 S. 1 SGB IX folgenden zweiten Satz entnehmen, der nämlich für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen ausnahmsweise eine Kostenübernahme vorsieht für die stellvertretenden Mitglieder. Hieraus ist zu schließen, dass der nicht nachrückende Stellvertreter im Grundsatz keinen Kostenfreistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber hat.

GRUNDLAGEN

Webinar: Schwerbehindertenvertretung Teil 1
Aufgaben und Möglichkeiten der Schwerbehindertenvertretung
Kein Recht auf Unterrichtung in bestimmter Art und Weise

LAG Hamburg, Beschluss vom 22.04.2022, Az. 7 TaBV 8/21

Leitsatz: Die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht des Arbeitgebers gegenüber der Schwerbehindertenvertretung aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX besteht nicht, wenn die Angelegenheit oder die Entscheidung die Belange schwerbehinderter Menschen in keiner anderen Weise berührt als nicht schwerbehinderte Beschäftigte.

Der Fall: Im Betrieb der Arbeitgeberin gab es ein mehrstufiges Zielvereinbarungs- und Beurteilungssystem. Von der Festlegung der Beurteilungsstufe hing die Höhe der für das jeweilige Kalenderjahr erfolgenden Bonuszahlung und eine etwaige Gehaltserhöhung im darauffolgenden Kalenderjahr an den Beschäftigten ab. In der einschlägigen Betriebsvereinbarung war unter anderem geregelt, dass bei der jeweiligen Zielfestlegung für schwerbehinderte Mitarbeiter auf Wunsch die jeweilige Behinderung berücksichtigt werde.

Im Vorfeld der Unterrichtung der Beschäftigten über die Festlegung ihrer Beurteilungsstufen und der Höhe der daraus resultierenden Bonuszahlung erstellte die Arbeitgeberin eine Datensammlung („Gesamtliste“), aus der sich jedenfalls Name, Vorname, Abteilung, Schwerbehinderteneigenschaft, Gleichstellung, die beabsichtigte Beurteilungsstufe, der beabsichtigte Bonus sowie eine etwaig beabsichtigte Gehaltserhöhung aller Beschäftigten ergaben. Die Arbeitgeberin übersandte diese Gesamtliste an den Betriebsrat zur Einsicht und Stellungnahme, nicht jedoch an die im Betrieb ebenfalls vertretene Schwerbehindertenvertretung. Diese beantragte daher vor Gericht deren Überlassung und verwies in diesem Zusammenhang auf ihr Unterrichtungs- und Anhörungsrecht aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX

Die Entscheidung des Gerichts: Das Gericht wies den Antrag der SBV zurück. Die Arbeitgeberin war zwar verpflichtet, die SBV vor Mitteilung der Leistungsbeurteilung an einen schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer hierüber zu unterrichten und sie hierzu anzuhören. Die SBV kann aber keine Unterrichtung durch eine – vorliegend ausschließlich begehrte – Einsichtnahme in bestimmte Unterlagen der Arbeitgeberin verlangen. „Unterrichten“ im Sinne von § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX beinhaltet ein „aktives Tun“ des Dienstgebers. Auf welche Art und Weise die Unterrichtung zu erfolgen hat, bestimmt das Gesetz aber nicht. Der Arbeitgeber kann deshalb die Form der Unterrichtung festlegen, soweit damit der Informationsanspruch der Schwerbehindertenvertretung vollständig erfüllt wird.

Das Gericht wies den Antrag darüber hinaus auch deswegen ab, weil er zumindest auch Fallgestaltungen umfasste, in denen er sich als unbegründet erwies. Denn das Begehren der SBV erstreckte sich insoweit unterschiedslos auf die Einsichtnahme in die Daten der beabsichtigten Leistungsbeurteilung aller Arbeitnehmer des Betriebes. Unstreitig erfolgt die Leistungsbeurteilung und die daran anschließende Bonusfestsetzung aber nur abteilungsbezogen durch die jeweiligen Abteilungsleiter auf Grundlage des zur jeweils Verfügung stehenden individuellen Abteilungsbudgets. Da es jedoch – ebenfalls unstreitig – verschiedene Abteilungen gab, in denen keine schwerbehinderten Menschen oder diesen Gleichgestellte beschäftigt wurden, war nicht erkennbar, weshalb insoweit eine Angelegenheit im Sinne des § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX vorläge.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie: Aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX folgt kein generelles Einsichtnahmerecht in Unterlagen, sondern nach dieser Bestimmung ist die Art der Unterrichtung gerade nicht an ein Einsichtnahmerecht geknüpft. § 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX konstituiert von dem Grundsatz der Freiheit der Art und Weise der Unterrichtung lediglich für Bewerbungsverfahren eine Ausnahme.

TOPAKTUELL

Fresh-up Schwerbehindertenrecht
Topaktuelles Wissen praxisnah erklärt

Podcast-Empfehlung des Monats
Wie kalt und dunkel wird es in Deutschlands Betrieben im Winter?

Die EU-Mitgliedstaaten haben vereinbart, ihren Gasverbrauch zwischen dem 1. August 2022 und dem 31. März 2023 mit Maßnahmen ihrer Wahl um 15 % gegenüber dem Durchschnittsverbrauch der letzten fünf Jahre zu senken. Welche Pläne könnten Betriebe zum Energiesparenschmieden? In Betracht kommen insb. die Ausweitung von Home-Office und/oder die Senkung der Temperaturen in Büroräumen. Ob das arbeitsrechtlich zulässig ist und wie der Betriebsrat dabei zu beteiligen wäre, darüber sprechen Niklas Pastille, Rechtsanwalt aus Berlin und Sandra Becker, Volljuristin und Referentin.

Unsere Empfehlung 
Aktuelle Seminarangebote der W.A.F.

Schwerbehindertenvertretung Teil 1
Für einen erfolgreichen Start in Ihre Amtszeit als SBV brauchen Sie praxisnahes Wissen. Bereiten Sie sich mit diesem Seminar rechtssicher für die Praxis vor!
 
Schwerbehindertenvertretung Teil 2
Im zweiten Teil der Seminarreihe stehen die besonderen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften von (schwer-)behinderten Menschen im Mittelpunkt.

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