Erfahren Sie, alles Wichtige rund um Ihre Rolle als SBV beim Kündigungsschutz und zur Barrierefreiheit als betrieblicher Arbeitsschutz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SBV,

mit der Beteiligung der SBV bei Kündigungen greifen wir in diesem Newsletter nach gut zwei Jahren pandemiebedingter Rezession ein ganz aktuelles Thema auf. Erfahren Sie darüber hinaus, wo die Barrierefreiheit gesetzlich verankert ist und inwieweit hier ein durchsetzbarer Anspruch gegen den Arbeitgeber besteht.

Schließlich haben wir wieder aktuelle Entscheidungen der Arbeitsgerichte praxisnah für Sie aufbereitet. Erfahren Sie insbesondere, wie das Arbeitsgericht Hamburg die Interessenwahrnehmung der Belegschaft zwischen Betriebsrat und SBV verteilt sieht. Außerdem hat das BAG klargestellt, dass die Befreiung von Mehrarbeit nicht zwingend vor der Einteilung zur Rufbereitschaft schützt.

Viel Spaß beim Lesen!

Herzliche Grüße

Ihre W.A.F.

Inhalt

Top-Themen der SBV

  • So nimmt die SBV ihre Rolle beim Kündigungsschutz wirksam wahr
  • Barrierefreiheit als betrieblicher Arbeitsschutz

Rechtsprechungsmonitor

  • Keine informationelle Allzuständigkeit der SBV
  • BEM – Durchführungsanspruch des Arbeitnehmers?
  • Ist Bereitschaftsdienst immer Mehrarbeit?

Neue Seminarangebote der W.A.F.

Top-Themen der SBV

So nimmt die SBV ihre Rolle beim Kündigungsschutz wirksam wahr
Vergisst der Arbeitgeber seine SBV im Vorfeld einer Kündigung zu beteiligen, ist die ohne Beteiligung ausgesprochene Kündigung unwirksam. Erfahren Sie, weshalb die SBV hierbei eine so bedeutende Rolle spielt.
 
Barrierefreiheit als betrieblicher Arbeitsschutz
Der betriebliche Arbeitsschutz verlangt die weitgehend barrierefreie Gestaltung der Arbeitsstätte. Aber welche Maßnahmen muss der Arbeitgeber ergreifen, um den betrieblichen Arbeitsschutz zu gewährleisten? Lesen Sie in diesem Artikel mehr dazu.

Video-Empfehlung des Monats
Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Drohen Kündigungen und mehr?

Schon jetzt startet die einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen COVID-19. Der neue § 20a Infektionsschutzgesetz führt diese tatsächlich im betrieblichen Umfeld ein. Und diese gesetzliche Regelung allerdings tatsächlich nicht nur Mitarbeiter in Pflegeberufen. Das Gesetz birgt diverse Tücken und Stolperstellen und wirft einige Fragen auf. Unsere Rechtsanwälte Niklas Pastille und Tobias Gerlach stellen sich diesem heißen Thema!

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Rechtsprechungsmonitor
Keine informationelle Allzuständigkeit der SBV

ArbG Hamburg, Beschluss vom 09.11.2021, Az. 5 BV 13/21

Leitsatz: Der Schwerbehindertenvertretung obliegt keine informationelle Allzuständigkeit. Soweit allgemeine Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb betroffen sind, obliegt deren Wahrnehmung dem Betriebsrat.

Der Fall: Der vorliegende Fall spielte in einem Betrieb mit einem etablierten mehrstufigen Zielvereinbarungs- und Beurteilungssystem, gemäß dem von der Festlegung der Beurteilungsstufe die Höhe der erfolgenden Bonuszahlung sowie eine etwaige Gehaltserhöhung abhängt. Hierzu erstellt die Arbeitgeberin regelmäßig eine Datensammlung (sog. „Gesamtliste“), aus der sich jedenfalls Name, Vorname, Abteilung, Schwerbehinderteneigenschaft, Gleichstellung, die beabsichtigte Beurteilungsstufe, der beabsichtigte Bonus sowie eine etwaig beabsichtigte Gehaltserhöhung aller Beschäftigten ergeben. Diese Gesamtliste übersendet sie sodann an den Betriebsrat zur Einsicht und etwaigen Stellungnahme.

Im Jahr 2019 bat die SBV die Arbeitgeberin erfolglos darum, ihr die Gesamtliste ebenfalls zur Einsichtnahme und etwaigen Stellungnahme zu übersenden. Sie begründete dies mit ihrer sich aus Gesetz und den bestehenden Betriebsvereinbarungen ergebenden Aufgabe als Vertrauensperson, etwaige Benachteiligungen der Gruppe der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten zu prüfen. Dies erfordere aber, anhand von Daten vergleichen zu können, wie diese Gruppe im Vergleich zu der Gruppe der Beschäftigten ohne Schwerbehinderung oder Gleichstellung beurteilt werde.

Die Arbeitgeberin verweigerte die Herausgabe der Gesamtliste, erklärte sich jedoch bereit, Daten über die beabsichtigten Beurteilungen, Boni und Gehaltsentwicklungen der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten zu liefern. Die Daten der anderen Beschäftigten seien vertraulich und könnten aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht an die SBV weitergegeben werden. Weiterhin stellte die Arbeitgeberin ein Kurvendiagramm zur Verfügung, das einerseits die Bewertung 2019 für alle Arbeitnehmer sowie andererseits die Bewertung für die Arbeitnehmer mit Behinderung grafisch darstellt.

Die Entscheidung des Gerichts: Das Arbeitsgericht teilte die Auffassung der Arbeitgeberin. Ein Anspruch der SBV auf Einsichtnahme der Daten sämtlicher Mitarbeiter (sog. Gesamtliste) ergebe sich nicht aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX. Der SBV obliege keine informationelle Allzuständigkeit. Soweit allgemeine Interessen der Mitarbeiter im Betrieb betroffen sind, obliege deren Wahrnehmung dem Betriebsrat. Ein Einsichtsrecht in die Daten der Mitarbeiter bestehe nur insoweit, als es um die konkrete Beurteilung von Mitarbeitern mit Schwerbehinderung beziehungsweise diesen gleichgestellten Mitarbeitern gehe. Diese Informationen habe die SBV erhalten. Ziel der gesetzlichen Regelungen in § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX sei es unter anderem, behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen und gleiche Teilhabechancen zu eröffnen. Die SBV solle daher Gelegenheit haben, den Arbeitgeber aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche, gegebenenfalls nicht bedachte Auswirkungen seiner Entscheidung hinzuweisen. Die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sollen es der SBV ermöglichen, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn die Belange eines schwerbehinderten Menschen oder schwerbehinderter Beschäftigter als Kollektiv für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind. Ein wie von der Vertrauensperson gefordertes allgemeines Informationsrecht der Schwerbehindertenvertretung existiere nicht.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie: Die in § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX normierte „Allzuständigkeit“ der SBV bezieht sich auf Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen, disziplinarische Maßnahmen und vieles andere. Sie gilt aber nur für (schwer-)behinderte sowie ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer (vgl. § 151 Abs. 1 SGB IX) und gerade nicht für alle Mitarbeiter des Betriebs.

GRUNDLAGEN

Schwerbehindertenvertretung Teil 1
Aufgaben und Möglichkeiten der Schwerbehindertenvertretung
BEM - Durchführungsanspruch des Arbeitnehmers?

BAG, Urteil vom 07.09.2021, AZ 9 AZR 571/20

Leitsatz: § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründet keinen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM).

Der Fall: Zwischen dem Kläger, der mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, und der beklagten Gemeinde besteht seit dem 3. Juli 2000 ein Arbeitsverhältnis. Im Jahr 2018 war der Kläger an 122 Arbeitstagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig, im Jahr 2019 vom 1. Januar bis zum 25. August an 86 Arbeitstagen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. August 2019 verlangte der Kläger die Durchführung eines BEM. Die Beklagte lehnte dies ab.

Die Entscheidung des Gerichts: Das BAG hielt es mit der Beklagten und lehnte einen Individualanspruch des betroffenen Arbeitnehmers auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ab. Dabei stützte es sich auf den Wortlaut und die Systematik der gesetzlichen Regelungen:

Nach § 167 Abs. 2 Satz 7 SGB IX können die zuständige Interessenvertretung i.S.d. § 176 SGB IX, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, die gebotene Klärung verlangen, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Außerdem wachen sie nach § 167 Abs. 2 Satz 8 SGB IX darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Entsprechende Rechte und Aufgaben sieht die gesetzliche Regelung für die betroffenen Arbeitnehmer nicht vor.

Die Systematik des SGB IX bestätigt dieses Verständnis. Kapitel 3 des Teils 3 des SGB IX unterscheidet zwischen sonstigen Pflichten der Arbeitgeber und Rechten der (schwer-)behinderten Arbeitnehmer und bringt damit zum Ausdruck, dass nicht jeder Pflicht des Arbeitgebers ein entsprechender Anspruch beziehungsweise ein entsprechendes Recht des Arbeitnehmers gegenübersteht. Räumt das Gesetz den Arbeitnehmern Ansprüche ein, werden diese ausdrücklich als solche bezeichnet, wie z.B. in § 164 Abs. 4 SGB IX.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie: Möchte ein Arbeitnehmer ein BEM durchführen lassen und der Arbeitgeber weigert sich, muss er sich an seinen zuständigen Betriebsrat wenden. Er selbst kann lediglich einen Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz oder eine Teilzeitbeschäftigung nach § 164 SGB IX geltend machen, sofern er (schwer-)behindert oder einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist.

SPEZIAL-SEMINAR

Betriebliches Eingliederungsmanagement für die SBV
Schwerpunkt und Herausforderung für die Schwerbehindertenvertretung
Ist Bereitschaftsdienst immer Mehrarbeit?

BAG, Urteil vom 27.07.2021, Az. 9 AZR 448/20

Leitsatz: Schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen können eine Befreiung von Mehrarbeit verlangen. Allerdings zählt nicht jeder Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit.

Der Fall: Der Kläger ist Wassermeister und mit einem Grad der Behinderung von 40 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Er ist in Vollzeit mit 39 Wochenstunden bei einer Verbandsgemeinde beschäftigt, die für die Trinkwassserversorgung zuständig ist.

Um die Wasserversorgung im Bereich der Verbandsgemeinde sicherzustellen, war es zwingend notwendig, dass das Personal in der Woche und an den Wochenenden zum Bereitschaftsdienst herangezogen wird. Aufgrund der geringen Personaldecke ordnete der Arbeitgeber daher auch für den Kläger Rufbereitschaft an jedem vierten Wochenende an. Dieser beantragte daraufhin von der Rufbereitschaft befreit zu werden und verwies auf eine entsprechende Empfehlung seiner Ärzte.

Die Entscheidung des Gerichts: Das BAG stellte fest, dass schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen nicht verlangen können, generell von Bereitschaftsdiensten befreit zu werden. Sie haben zwar nach § 207 SGB IX einen Anspruch darauf, keine Mehrarbeit leisten zu müssen. Mehrarbeit ist diejenige Arbeitszeit, die über die gesetzliche regelmäßige Arbeitszeit von werktäglich acht Stunden hinausgeht, vgl. § 3 S. 1 ArbZG. Eine Anordnung von Mehrarbeit ist auf der Grundlage von § 207 SGB IX also nur verboten, wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer mehr als acht Stunden am Tag arbeiten soll oder die Arbeitszeit auf mehr als sechs Tage in der Woche verteilt wird. Auf die mit dem Arbeitgeber vereinbarte oder tarifvertragliche Arbeitszeit kommt es hingegen nicht an.
Der Kläger, der regulär eine Fünftagewoche hatte, könnte daher grundsätzlich am sechsten Tag zu einem achtstündigen Bereitschaftsdienst herangezogen werden, ohne gegen § 207 SGB IX zu verstoßen.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie: Denken Sie daran, dass losgelöst von § 207 SGB IX (schwer-)behinderte Arbeitnehmer unabhängig von der Frage etwaiger Mehrarbeit einen Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit haben. Kann also ein (schwer-)behinderter Mensch wegen seiner Schwerbehinderung die Rufbereitschaft nicht mehr ausüben, besteht somit nach § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX ein klagebarer Anspruch auf Befreiung.

GRUNDLAGEN

Schwerbehindertenvertretung Teil 2
Besondere Schutzrechte (schwer-)behinderter Kollegen durchsetzen

Podcast-Empfehlung des Monats
Wichtige Gesetzesänderung: Her mit der Vertrauensperson im BEM!

Dürfen sich BEM-berechtigte Mitarbeiter von einer Person ihres Vertrauens in das BEM-Gespräch begleiten lassen? Ja, sagt (neuerdings) das Gesetz – und lässt doch viele Fragen offen.

Unsere Empfehlung 
Neue Seminarangebote der W.A.F.

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