Will ein Arbeitgeber einem (schwer-)behinderten
Kollegen kündigen, muss er den Betriebsrat nach § 102 BetrVG anhören. Außerdem muss er vor der Kündigung eines (schwer-)behinderten Kollegen zwingend auch die Schwerbehindertenvertretung informieren und
anhören. So bestimmt es § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX.
Ein Urteil des Arbeitsgerichts Hagen zeigt sehr deutlich, wann die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zu beginnen hat (Arbeitsgericht Hagen, Urteil vom 06.03.2018, Az. 5 Ca 1902/17). Das
Landesarbeitsgericht Hamm hat diese Entscheidung bestätigt (LAG Hamm, Urteil vom 11.10.2018, Az. 15 Sa 426/18).
Ein Arbeitgeber wollte einem schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen, und zwar per Änderungskündigung. Dabei handelte es sich um eine ganz normale Kündigung, verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis
zu anderen Bedingungen fortzusetzen. Dieses muss der Arbeitnehmer dann noch annehmen. Natürlich kann er das Angebot auch unter Vorbehalt annehmen und parallel Kündigungsschutzklage erheben.
Wie bei jeder Kündigung eines (schwer-)behinderten Menschen musste der Arbeitgeber zudem die Zustimmung des Inklusionsamts einholen. In dem hier entschiedenen Fall beantragte der Arbeitgeber zunächst beim
Inklusionsamt die Zustimmung zur beabsichtigten Änderungskündigung und erst danach, nämlich 2 Tage später, hörte er die Schwerbehindertenvertretung an und bat um Stellungnahme. Der gekündigte Arbeitnehmer
meinte nun, dass allein schon deshalb die Änderungskündigung unwirksam sei, und klagte.
Schwerbehindertenvertretung zu spät angehört
Das Gericht ließ offen, ob die streitgegenständliche Änderungskündigung bereits im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sozial ungerechtfertigt sei. Auch die Frage, ob der Zustimmungsbescheid des Inklusionsamt
zu beanstanden war, interessierte das Gericht ebenso wenig wie die Frage, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden war. Denn die Kündigung war bereits deshalb unwirksam, da die
Schwerbehindertenvertretung zwingend vor der Stellung des Zustimmungsantrags beim Integrationsamt hätte unterrichtet und angehört werden müssen.
Vorherige Zustimmung des Integrationsamts
Die Kündigung eines (schwer-)behinderten Arbeitnehmers setzt zwingend neben der Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung die vorherige Zustimmung des Inklusionsamt voraus (§ 167 SGB IX).
Der Arbeitgeber darf eine Kündigung also erst dann aussprechen, wenn diese vorliegt. Kündigt er vorher, ist die Kündigung unwirksam. Sie kann auch nicht nachträglich durch das Integrationsamt genehmigt
werden.
Erteilt das Integrationsamt dem Arbeitgeber die gewünschte Zustimmung, hat er einen Monat Zeit, die Kündigung zu erklären. Verpasst er den Termin, muss er erneut die Zustimmung einholen.
Achtung: Zustimmung für beide Kündigungsarten
Die Zustimmung ist sowohl für die ordentliche als auch für die außerordentliche Kündigung notwendig.
Fristlose Kündigung
Will ein Arbeitgeber einem (schwer-)behinderten Arbeitnehmer fristlos kündigen, muss er das innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrunds erledigen. Erfährt er also am 1. März von einem Diebstahl
dieses Arbeitnehmers zu seinen Lasten, muss diesem die Kündigung grundsätzlich bis zum 15. März zugehen. Der Arbeitgeber hat jedoch das Inklusionsamt zuvor einzuschalten und um dessen Zustimmung zu bitten.
Damit ist im Regelfall die 2-Wochen-Frist nicht mehr zu halten. Aus diesem Grund sieht § 174 Abs. 5 SGB IX vor, dass die Kündigung auch nach Ablauf der 2-Wochen-Frist erfolgen kann, wenn sie unverzüglich
nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts erklärt wird.
Achtung: Kurze Frist gilt nicht nur für Arbeitgeber
Der Betriebsrat hat im Fall einer außerordentlichen Kündigung ebenfalls verkürzte Anhörungsfristen einzuhalten: 3 Tage!
Wann sich (schwer-)behinderte Menschen auf den Sonderkündigungsschutz berufen können
Der besondere Kündigungsschutz für (schwer-)behinderte Arbeitnehmer gilt jedoch ohne Rücksicht auf die Dauer der Probezeit in den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses nicht (§ 173 Absatz 1 Nummer 1 SGB
IX). Auch die Mindestkündigungsfrist für (schwer-)behinderte Menschen von 4 Wochen (§ 169 SGB IX) gilt während der Probezeit nicht. Bei einer Kündigung in dieser Zeit ist die Zustimmung des Inklusionsamt
deshalb entbehrlich – nicht aber die Anhörung Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat: diese ist immer erforderlich!
Aber auch nach Ablauf der ersten 6 Monate können sich die (schwer-)behinderten Arbeitnehmer nicht immer auf den besonderen Kündigungsschutz berufen. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn dem Arbeitgeber
die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt oder diese jedenfalls offenkundig ist.
Laut Bundesarbeitsgericht ist es allerdings auch ausreichend, wenn sich ein (schwer-)behinderter Arbeitnehmer nach einer Kündigung in seiner fristgerecht erhobenen Kündigungsschutzklage auf seine
Schwerbehinderung und den Sonderkündigungsschutz beruft. Gleichgültig ist hierbei, ob die Klage auch nach Ablauf der 3 Wochen erst zugestellt wird. Daher ist eine gesonderte Mitteilung an den Arbeitgeber
nicht mehr erforderlich (BAG, Urteil vom 23.10.2010, Az. 2 AZR 659/08).
Besonderer Kündigungsschutz besteht im Übrigen auch dann schon, wenn
- der (schwer-)behinderte Kollege spätestens zum Zeitpunkt der Kündigung einen Antrag auf Anerkennung als (schwer-)behinderter Arbeitnehmer oder auf Gleichstellung gestellt hat und
- das Versorgungsamt hierüber im Nachhinein entschieden hat.
Tipp: Rechte in Anspruch nehmen
Erfährt die Schwerbehindertenvertretung davon, dass ein Kollege den Schwerbehindertenstatus erreicht oder einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sollte ihm geraten werden, seinem Arbeitgeber die
Veränderung mitzuteilen. Denn so kann er von Anfang an von seinen besonderen Rechten (z.B. Zusatzurlaub, besondere Hilfen) profitieren.