Hessisches LAG, Beschluss vom 06.11.2023, Az. 16 TaBVGa 179/23
Der Fall: Im vorliegenden Fall ging es um eine Stadtwerke-Tochtergesellschaft, die den Linienbusverkehr im ÖPNV betreibt und in einen anderen Betrieb der Unternehmensgruppe eingegliedert werden sollte. Deswegen stritten die Betriebsparteien bereits in einem anderen Prozess um die Einsetzung einer Einigungsstelle. Parallel hierzu beschloss der Betriebsrat im Herbst 2023, seinen Vorsitzenden auf das Seminar „Betriebsratsvorsitzende und Stellvertreter“ zu entsenden, wofür der Arbeitgeber die Kostenübernahme ablehnte. Der BRV sei bereits seit 2018 im Amt, zudem ende die Amtszeit des Betriebsrats wegen der anstehenden Eingliederung in den anderen Betrieb ohnehin bald.
Dagegen ging der Betriebsrat vor und beantragte per einstweiliger Verfügung dem Arbeitgeber aufzugeben, den BRV von der Arbeit freizustellen und die Kosten für die Seminarteilnahme zu übernehmen.
Die Entscheidung des Gerichts: Sowohl das Arbeitsgericht Frankfurt, als auch das Hessische LAG gaben dem Betriebsrat Recht und verpflichteten den Arbeitgeber zur Freistellung und Kostenübernahme. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass Arbeitgeber erforderliche Schulungen nicht pauschal mit dem Argument zurückweisen können, dass die Mitglieder des Gremiums perspektivisch ihr Amt verlieren würden, da der Betrieb in einen anderen eingegliedert werden soll. Denn zum einen laufe parallel ein Einigungsstelleneinsetzungsverfahren, sodass derzeit nicht absehbar sei, ob und wann das BR-Amt des Vorsitzenden und seines Stellvertreters tatsächlich erlischt. Aber selbst im Falle der Eingliederung benötige der BRV die in den Schulungen zu vermittelnden Kenntnisse zur Wahrnehmung des Restmandats nach § 21b BetrVG.
Schließlich wurde auch die zweite Einwendung von den Gerichten zugunsten des Betriebsrats entschieden: Die Seniorität eines Gremiumsmitglieds ist für sich genommen kein Faktor, der dem Schulungsanspruch entgegenstehe. Zwar könne es sein, dass der BRV sich im Laufe seines Mandats „on the job“ gewisse Fähigkeiten für das ausgeübte Amt erarbeitet habe. Das allein kann jedoch die Teilnahme an der Schulung, die sowohl rechtliches Wissen als auch arbeitsorganisatorische Kompetenzen vermittelt, nicht ersetzen.
Das bedeutet die Entscheidung für Sie: Häufig wird von Arbeitgebern der Einwand erhoben, zu schulende Kenntnisse wären bereits über die Jahre der Amtsausübung erworben worden. Lassen Sie sich davon nicht beirren: Allein der Umstand, dass Sie sich als Betriebsrat womöglich mehr schlecht als recht durch bestimmte Themen „durchgeboxt“ haben, bringt Ihren Schulungsanspruch nicht zu Fall. Dies zeigt vielmehr, wie praxisrelevant das jeweilige Thema ist und umso dringlicher der Erwerb qualifizierter Kenntnisse.